24. Juli 2025 Autorin: Laura Baumann, Stiftung für das Tier im Recht (TIR)

Mythos «strengstes Tierschutz­gesetz der Welt» - wo die Schweiz beim Tierwohl versagt

Die Schweiz rühmt sich ihres «strengsten Tierschutzgesetzes der Welt», doch dieser Ruf ist trügerisch: Die Realität entspricht bei weitem nicht dem Anspruch. Zwar enthält das Tierschutzrecht auf dem Papier fortschrittliche Bestimmungen wie etwa zum Schutz der Würde des Tieres. Doch in der Praxis bleibt der Tierschutz weit hinter den Erwartungen zurück, und die tatsächliche Umsetzung weist erhebliche Mängel auf.

Lücken im Tierschutzrecht: Tierleid bleibt legal

Das Schweizer Tierschutzrecht weist, ebenso wie jenes anderer Länder, gravierende Schwächen auf. Zahlreiche Haltungs- und Umgangsformen in der industriellen Nutztierhaltung sind weiterhin legal, obwohl sie systematisch Tierleid verursachen. Viele Tiere leben auf engstem Raum, ohne Beschäftigung oder Zugang ins Freie – und das ist gesetzlich zulässig. Das Gesetz schützt Tiere oft nur so weit, wie es für die Wirtschaft tragbar ist. Ihre grundlegenden Bedürfnisse werden in den seltensten Fällen berücksichtigt. Der Schutz orientiert sich zu stark an wirtschaftlichen Interessen und zu wenig an den ethischen Ansprüchen, die das tatsächliche Wohl der Tiere sichern würden.

Drei Beispiele verdeutlichen diese Problematik

1. Qualzucht

Schweizer Milchkühe werden auf hohe Milchleistung gezüchtet – oft mit gravierenden Folgen: Ihr Organismus ist chronisch überfordert, was zu Stoffwechselstörungen, Euterentzündungen und Unfruchtbarkeit führen kann. In der Phase ihrer maximalen Milchleistung (sog. Hochleistungsphase) kann die Energieaufnahme oft nicht mit dem Bedarf mithalten. Die Kühe zehren an ihren Körperreserven, und Erkrankungen sind keine Seltenheit. Obwohl Art. 10 Tierschutzgesetz (TSchG) Qualzucht verbietet, bleibt diese Praxis in der Schweiz Alltag. Dies ist ein eklatanter Widerspruch zwischen Gesetz und Realität.

2. Haltungsbedingung

Mastschweine werden in der konventionellen Haltung in Ställen mit sogenannten Teilspaltenböden gehalten. Das bedeutet: Ein fester Liegebereich steht einem kleinen Bereich mit Spaltenboden gegenüber, durch den Kot und Urin abfliessen können. Die Tiere haben in der Regel weder Zugang zum Auslauf noch zu Tageslicht und verbringen ihr gesamtes Leben im Stall. Beschäftigungsmaterial ist zwar vorgeschrieben, aber fehlt häufig. Die Platzverhältnisse sind eng bemessen, selbst ausgewachsene Schweine mit rund 100 Kilogramm Körpergewicht dürfen auf weniger als einem Quadratmeter gehalten werden. Diese Bedingungen widersprechen den natürlichen Bedürfnissen der Tiere nach Bewegung, Beschäftigung und sozialem Kontakt. Sie führen häufig zu Gelenkproblemen, Verletzungen und Verhaltensstörungen wie Schwanzbeissen. Dennoch sind sie durch die Tierschutzverordnung weiterhin legalisiert (TSchV, Anhang 1 Tabelle 3).

3. Eingriff am Tier

Die Enthornung (Entfernung der Hornanlagen) bei Kälbern ist in der Schweiz bis zum Alter von drei Wochen unter Betäubung und Schmerzmittelgabe erlaubt; Tierhaltende benötigen dafür einen Sachkundenachweis. Der Eingriff wird vor allem aus Gründen der Sicherheit, des Stallmanagements (Kühe mit Hörnern brauchen mehr Platz) und der Wirtschaftlichkeit durchgeführt, gilt aber als stark schmerzverursachend und muss möglichst schonend erfolgen. Er beeinträchtigt das Sozialverhalten, nimmt den Tieren wichtige Kommunikations- und Verteidigungsmöglichkeiten und verursacht trotz Betäubung erhebliche Schmerzen und Stress. Zahlreiche Kälber leiden noch Monate nach dem Ausbrennen an chronischer Überempfindlichkeit und Langzeitschmerzen.

Diese Beispiele machen deutlich: Die gesetzlichen Grundlagen bieten keinen ausreichenden Schutz für Tiere in der Nutztierhaltung. Vielmehr legitimieren sie in zahlreichen Fällen systematisches Tierleid.

Fehlende Umsetzung und unzureichende Kontrolle

Ein zentrales Problem ist der mangelhafte Vollzug. Die rechtlichen Bestimmungen sind stark von wirtschaftlichen Interessen bei der Haltung landwirtschaftlich genutzter Tiere geprägt. Selbst die bestehenden Vorschriften zum Schutz von Tieren sind häufig schwammig formuliert und werden nur unzureichend umgesetzt. Bei ihrer Anwendung orientieren sich die Behörden in der Regel an einer etablierten, aber problematischen Praxis statt an den Grundsätzen des Tierschutzrechts. Dadurch fehlt es dem Tierschutzrecht an Durchsetzung. Hinzu kommen eine unzureichende tierschutzrechtliche Ausbildung des für die Kontrollen zuständigen Fachpersonals, fehlende Ressourcen sowie die teilweise offene Weigerung der Kontrollpersonen, Verstösse gegen die Tierschutzgesetzgebung strafrechtlich zu sanktionieren.

«Ohne konsequenten Vollzug und grundlegende Reformen wird der gesetzlich garantierte Schutz zur Farce.»

Fazit

Die Schweiz behauptet, eines der strengsten Tierschutzgesetze der Welt zu haben. Doch in der Praxis bleibt es deutlich hinter seinen Versprechungen zurück. Ohne konsequenten Vollzug und grundlegende Reformen wird der gesetzlich garantierte Schutz zur Farce. Ein scheinbar strenges Gesetz allein schützt keine Tiere. Es braucht den politischen Willen, es konsequent umzusetzen und weiterzuentwickeln. Dazu gehört auch, die Zustände nicht mittels irreführender Werbekommunikation schönzureden.

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